Tipps, wie man zum Schreiben schöner Literatur kommt, gibt es genügend. Auch der neue Roman von Doris Dörrie enthält einige davon – und lässt sie zugleich in einem fragwürdigen Licht erscheinen. Aber unausgesprochen zeigt er am Ende doch, worauf es ankommt.
Der Badeanzug gilt wohl den wenigsten als typisches Schriftsteller-Outfit. Trotzdem wird die arrivierte Literatin aus Kalifornien in dem Roman »Diebe und Vampire« von Doris Dörrie in diesem Kleidungsstück eingeführt. Ihr begegnet die junge Hauptfigur Alice in einem Hotel an der mexikanischen Küste. Während die deutsche Studentin, die schriftstellerische Ambitionen hegt und gerne ein Jackett mit Haifisch-Anmutung trägt, neben dem Pool sitzt oder am Wasser spazieren geht, ohne etwas Brauchbares zu Papier zu bringen, und ihr illiterater Liebhaber Trockenübungen am Strand macht, steigt »die Meisterin« jeden Morgen in den Pazifik, um danach am Schreibtisch zu produzieren.
Ratgeber statt Roman
Alice freundet sich mit der poetischen Grand Dame an und schwimmt auch eine Runde mit ihr. Dennoch will es mit der Schriftstellerei nichts werden. Die Meisterin ermuntert sie zwar und lädt sie sogar ein, sie in San Francisco zu besuchen – aber das Treffen dort gestaltet sich distanziert und den Ozean berührt Alice allenfalls indirekt: Sie läuft im Dauerregen durch die Straßen, um in eine Affäre mit einem Seemann zu schlittern. Später gelingt ihr ein einziger Bestseller. Jedoch ist es kein Roman, sondern ein Ratgeber für Romanciers, über dessen Verkaufserfolg sie informiert wird, als sie in den Alpen Wintersport macht – inmitten von gefrorenem Wasser also.
Jahre danach, Alice ist nun über Fünfzig und damit so alt wie ihr Vorbild damals, reist sie ein zweites Mal nach Mexiko, nämlich zu einem Seminar für Schriftsteller aus Deutschland. Es regnet wieder heftig bei ihrer Ankunft, doch nicht nur sie, sondern auch die nachwachsende Generation kommt mit dem Schreiben nicht zu Pott.
Warum? Eine ganze Reihe von Einsichten über Autorenschaft hält das Buch parat: Das Schreiben selbst ist natürlich Folter (…) Man geht Tag für Tag in den Dschungel und hofft, dass man nicht gefressen wird (S. 49); Durch andere wirst du die Einsamkeit nicht los (…) Schreiben hilft. Ein bisschen (…) Es gibt ein einziges Geheimnis: Schreib jeden Tag. Und bleib sitzen, wenn dir nichts einfällt. (S. 65); Der Autor muss seine Angst überwinden und sich aufmachen, um zu schreiben. (…) Nicht heulen, schreiben. Schreiben ist nichts für Schisser, sondern für Helden (S. 179 f.). Vor allem aber bedeutet literarisches Schaffen, so erklärt es die »Meisterin«, Geschichten aus dem Leben anderer Menschen zu stehlen. Daher der Titel: Schriftsteller sind Diebe und Vampire.
So wahr diese Devisen sind (die Dörrie in ihren Interviews übrigens ohne Ironie wiederholt), so wenig reichen sie aus. Denn Alice und ihre Nachkömmlinge kennen all die Theorie, ohne dass sie dadurch sonderlich produktiv würden. Schon Alices erster Versuch, sich durch Heldenstoff interessant zu machen, verläuft im Sande: Während ihres Mexikourlaubs erfährt sie in der Zeitung von einem zu Unrecht ins Gefängnis gesteckten Jugendlichen und berichtet ihrer Meisterin davon, weil sie meint, dass dieses Schicksal a) sich für eine Erzählung eignen könnte und b) die Möglichkeit zum gesellschaftlichem Engagement bietet. So beschließen die beiden Frauen, den Jungen in der Haftanstalt zu besuchen; doch weder bewirken sie damit etwas Gutes noch mündet Alices Brief, in dem sie die Geschichte fantastisch weiterspinnt, in ein eigenes Buch.
Damit aus Schreibenwollen nicht Geschreibsel wird
Auf den letzten Seiten lässt Dörrie Alice noch einmal einen Brief schreiben. Hier schildert sie eine Heldentat, doch diesmal ist diese nicht kalkuliert. Ich fällte keine bewusste Entscheidung, ging schnell und zielstrebig, aber ohne Ziel (S. 213). Es handelt sich um die Rettung eines Säuglings, bei welcher sich Alice absichtslos (Ich schwöre, nicht ich habe mich bewegt, ich wurde bewegt, S. 215), ja kopflos ins Geschehen stürzt (mein Körper hatte sich anscheinend erinnert, S. 216). Diese Szene erzeugt Herzklopfen und Spannung – ganz anderes als die Lebensgeschichte der Möchtegern-Schriftstellerin davor.
Am Rande desselben Ereignisses kommen Petunien vor: Ich erinnere mich, dass ich das Wort ‚Petunien‘ dachte, weil meine Mutter Petunien liebte. Ich erinnere mich an die pelzigen, klebrigen Blätter, an Wochenenden auf dem Balkon unter dem milchigen, norddeutschen Himmel, schreibt Alice (S. 214). Es sind solche Blumen, die auf dem Buchcover abgebildet sind, zusammen mit einem Kolibri, der seinen langen Schnabel zu den Blüten streckt, um sie auszusaugen.
Ja, die Creative-Writing-Weisheiten stimmen schon. Autoren brauchen Disziplin und bedienen sich wie Blutsauger an anderem Leben. Aber es muss etwas Gegenteiliges hinzukommen: Absichtslosigkeit, liebevolle Erinnerungen, hingebende Liebe, damit aus Schreiben-Wollen nicht Geschreibsel, sondern Literatur wird. So jedenfalls legt es dieser Ausgang der Geschichte nahe.