Karl-Heinz Ott über den Verfall einer Familie

Vier erwachsene Geschwister treffen sich wegen des Ablebens ihres Vaters im Elternhaus, streiten und diskutieren, während sie aufeinen Rechtsanwalt mit dem Testament warten, und erfahren, als dieser gegen Mitternacht kommt, dass sie enterbt sind, bevor am nächsten Morgen – womöglich infolge lauten Kopulierens – der totgeglaubte Vater, ein Lustmolch im hohen Alter, zu Leben erwacht. Das geschieht auf 340 Seiten: endloses Theoretisieren und kontrapunktisch ein bisschen Sex.

Karl-Heinz Ott zeichnet in seinem kammerspielartigen Roman „Die Auferstehung“ ein Sittengemälde und Zeitgeistpanorama der westdeutschen Nachkriegsjahrzehnte. Die Eltern, tüchtig und noch gläubig, bauen Haus und Familie auf (Nido, lateinisch für Nest, lautet der Familienname denn auch); doch ihre Kinder Joschi, Jakob, Uli und Linda driften geistig ab: Der älteste Sohn wird ein versteinerter Marxist und straffällig, der mittlere ein Bohemien und pleite, der jüngste ein esoterischer Kiffer, und die Tochter verbiestert sich im Kunstbetrieb. Dennoch sind sie materialistisch genug, um nach dem Erbe zu gieren.

In den Dialogen und Erinnerungen dieser Figuren wabern die Moden und Ideen der Zeit, vor allem der 1970er Jahre. Das ist lehrreich und mitunter witzig – spannend ist es nicht. Vielleicht ist Spannungslosigkeit unvermeidlich, wenn es um eine Familie geht, die den Vater an den afrikanischen Fluss Okavango erinnert, den einzigen Strom der Welt, der sich, noch bevor er das Meer erreicht, im wahrsten Sinne des Wortes so lange verläuft, bis seine Wasser stehenbleiben und bloß noch vor sich hin dümpeln, verschlammen, versickern oder verdunsten. Seine Reste sind noch da, doch es fließt nichts mehr, vom schieren Stillstand bedroht, schwappen die immer flacher werdenden Gewässer nur mehr träge hin und her, ermatten und erlahmen, ohne jede Aussicht auf erneutes Leben, für nichts mehr zugebrauchen, keine Schifffahrt, keinen Handel, kein gar nichts. So scheint es auch mit dieser Familie zu sein, bei der nur Uli und Franzsika mit ihren Kindern dafür sorgen, dass der Name Nido hier in dieser Gegend erhalten bleibt (S. 40).

Dieser Niedergang birgt keine Heroik mehr wie bei den Buddenbrooks und taugt insofern nicht zu einem solchen Roman. Immerhin gibt es noch einen Hagenström: den erfolgreichen Anwalt Max Schmeler, in der Nachbarschaft der Nidos aufgewachsen. Sein Auftritt als Testamentverwahrer lässt die vier Geschwister jämmerlich aussehen. Nicht nur von deren alten Ideologien ist Schmeler frei, auch den aktuellen Mainstream lehnt er ab: In Talkshows jedenfalls zieht er gegen den Terror der moralisch überhitzten Medien her, die in seinen Augen für eine gleichgeschaltete Gesinnung sorgen, wie man sie nur aus totalitären Regimen kennt (S. 17).

Was hat in diesem Szenario die Auferstehung des Familienvaters zu bedeuten? – Es scheint, als sei eine Umkehr möglich.

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