Sprachbilderfrisch: Der Roman »Altes Land« von Dörte Hansen

Die Geschichte des ostpreußischen Kriegsflüchtlings Vera Eckhoff im Elbmarschland bei Hamburg und ihrer Nichte Anne, die der großstädtischen Ökoszene entflieht, findet viel Anklang, seitdem das Buch im Februar erschienen ist. Das mag in erster Linie inhaltliche Gründe haben, aber auch sprachlich hat das literarische Debüt von Dörte Hansen seinen Reiz.

Am Anfang der Erzählung steht ein Reetdachhaus. Dieses stöhnte, so erfahren wir im Eingangssatz, wie ein Schiff, das in schwerer See hin- und hergeworfen wurde. Ein paar Zeilen später der nächste dynamisierende Vergleich: Die Fachwerkbalken stecken wie graue Knochen in den Mauern – so als hätten wir es mit einem Wirbeltier zu tun.

Nach einigen Kapiteln merkt man, dass dieses Bauwerk tatsächlich einem Lebewesen gleich Kräfte besitzt, denen seine Bewohner ausgesetzt sind. Das Haus war nicht gebaut für Menschen, die es warm und gemütlich haben wollten. Es war wie mit den Pferden und Hunden: Man durfte keine Schwäche zeigen. Sich nicht einschüchtern lassen von diesem Koloss, der seit fast dreihundert Jahren breitbeinig auf seinem Marschboden stand. (S. 48)

Das Buch ist voll von solchen Vergleichen und Metaphern, die den Dingen ein lebendiges oder zumindest kraftstrotzendes Gepräge geben:

  • Die Linde schüttelte den Sturm aus ihren Zweigen (S. 15).
  • Aus dem Lächeln ragte der Ehrgeiz wie ein kalter Fuß aus einer viel zu kurzen Decke (S. 50).
  • Wie riesige Saurier standen die Kräne am Kai, reckten ihre stählernen Hälse in den grauen Himmel und schienen auf Beute zu warten (S. 82).
  • Der Kaffee schmeckte, als käme er aus einer Asphaltiermaschine (S. 83).
  • Hinter dem Holzzaun standen in Reih und Glied seine Rosenstöcke… Sie sahen aus wie Gefangene, die erschossen werden sollten (S. 86).
  • Struppige Wolken, fellgrau und dicht, schoben über den Himmel, als hätte man die Schafe hochgeblasen und steigen lassen. Die Wolken zogen ostwärts, als hätten sie Termine (S. 167).

Dies sind nur einige Kostproben, an denen man sieht, dass sich Dörte Hansen mitunter einen Spaß aus ihrer Kunst des bildhaften Vergleichs macht. Im Extremfall wird daraus Spott: Die Mütter auf dem Spielplatz der Großstadt apportierten wie gutmütige Familienhunde die Schnuller und Trinkflaschen, die ihre Kleinkinder aus den Buggys warfen (S. 25).

Um selbst einen Vergleich zu ziehen, könnte man sagen: Hansens bildhafter Stil ist so erfrischend und prall wie die Kirschen und Äpfel, die auf dem Land reifen. Doch frisches Obst wird schnell verzehrt. Das Zelebrieren langer Mahlzeiten ist weniger die Sache dieser Erzählerin. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Im 6. Kapitel erfahren wir, dass Anne mit Christoph ein Baby namens Leon hat. Jedoch bemerkt sie bei ihrem Mann ein Zögern, wenn Leon seinen Schnuller auf den Gehweg spuckte oder zu weinen begann … Es fehlte das Fraglose, das sie an all den anderen Familien wahrzunehmen glaubte (S. 70). Nur fünf Seiten nach dieser ersten Ahnung von Unheil wird Christoph in flagranti mit einer anderen Frau erwischt. Das Kapitel ist zu Ende, und die Partnerschaft ebenfalls.

Man kann diese Eile damit rechtfertigen, dass es sich hierbei nur um eine Vorgeschichte handelt, die im Zeitraffer rekapituliert wird. Aber auch in der Haupthandlung auf dem Alten Land wirkt das Erzähltempo hoch. Das liegt daran, dass Hansen nicht nur zu pointierten Vergleichen neigt, sondern generell zu knappen Beschreibungen und kurzen Absätzen. Sie versetzt uns damit nicht in eine Atmosphäre, die zum Nachsinnen einlüde, sondern in ein Treiben – wozu das schon zitierte Eingangsbild eines Schiffs im Sturm passt.

Erst zu allerletzt werden wir aus dieser Turbulenz entlassen: Das Haus stand still, lautet der Schlusssatz. Nun können wir in Ruhe nachdenken, was die Geschichte von Anne und Vera bedeutet. Eine Geschichte, in der sich historisches Schicksal und neumodischer Stress, Musikalität und Handwerk, Stadt und Land und weitere Gegensätze verschränken, um schließlich zu einer Stabilität zu gelangen.

spacer

Kommentiere